Rückblick aus der Zukunft auf die Arbeit der Fachgruppe Sicherheit ZNO
(von Martin Ott, 20.12.2022)

Wir schreiben das Jahr 10022. Soeben hat das Parlament der Weltregierung beschlossen, Geld als weltweites Zahlungsmittel endgültig abzuschaffen. Diesem Parlament – es setzt sich seit dem grossen Umschwung im Jahr 2100 aus Kindern, Bäumen, Pflanzen und Delegationen der Tierwelt sowie von eben diesem Parlament gewählten Experten aus Wissenschaft, Kunst, Religion und Ethik zusammen – ist es gelungen, alle Schulden an der Natur und dem Planeten Erde zurückzuzahlen. Geld ist überflüssig geworden, da die hochdiversen lokalen «Gemeinschaften radikaler Vielfalt und geteilter Lebendigkeit» wie man die neuen Lebensgemeinschaften nennt, sich mit allen notwendigen Gütern selbst versorgen können. Lebensmittel, Energie, Innovation, Bildung, Kunst werden lokal erzeugt, die Ideen und das Knowhow dazu ohne Zahlungsmittel weltweit ausgetauscht und weiterentwickelt.
Der blaue Planet ist zu einer vielfältigen, friedvollen und höchst diversen Lebenswelt geworden. Was ist passiert?
Im Rückblick kann die Geschichte des Planeten und seinem Menschen in drei Epochen unterteilt werden:

1.   Die unbewusste Fressepoche

Dank der einzigartigen Bewegung der Erde im Sonnensystem, dem Tag-Nacht-Wechsel und den Jahreszeiten, begünstigte der Planet im Laufe der Zeit die Entwicklung einer hohen Dichte von Lebensformen. Eine lokal unterschiedliche, unermessliche Vielfalt von Pflanzen und Tieren entwickelte sich. Um die hohe Qualität aller Lebensformen innerhalb des grossen Zusammenhangs laufend zu sichern, frassen viele Lebewesen sich gegenseitig auf. Wie dieser entstanden im Laufe von Millionen von Jahren unzählige weitere Regelkreisläufe, die ein ganz besonderes Merkmal gemeinsam hatten: Es gab auf der Erde keinen Abfall. Alles wurde integriert und im Boden zu einem Nährhumus umgesetzt, welcher aus sich heraus wieder neues Leben hervorbrachte.

2.   Die bewusste Zeit der verlorenen alten Männer

Eines der Lebewesen kündigte den grossen Zusammenhang, stieg von den Bäumen herunter und mietete sich auf dem Boden ein. Dieses Wesen, DER Mensch, wollte nicht mehr gefressen werden: Er bändigte das Feuer, besetzte Land und baute darauf Häuser, Dörfer, Städte. Er entwickelte alle erdenklichen Waffen zu seiner vermeintlichen Selbstverteidigung. Diese wurden zuerst gegen den Rest der Welt, bald aber auch gegen Artgenossen eingesetzt. Er druckte Geldscheine, die er mit einem fiktiven Wert versah, so dass diese sich sogar selbst vermehren konnten. Zu beschäftigt mit Geld ausgeben und sich selbst zu verteidigen, vergass er, die längst fällige Miete für seinen Aufenthalt auf der Erde zu begleichen. Er verlor den Bezug zum grossen Zusammenhang und zu seinem Ursprung. Angeführt von verlorenen alten Männern entwickelte der Mensch Gesellschaftsformen, in dem allumfassendes Dominanzgebaren auf allen Ebenen den vergessen gegangenen Bezug zum grossen Zusammenhang durch ein System von Wachstum und Ausbeutung ersetzte.

3. Die Phase der gemeinsam radikal geteilten Lebendigkeit

Kurz bevor der Mensch in seinem Ausbeutungswahn seine eigene Lebensgrundlage endgültig vernichtete, bot der wunderbare blaue Planet dem Menschen erneut den Apfel der Erkenntnis an: Überall auf der Erde konnten Kinder und Künstler plötzlich mit der gesamten Natur in realen sprachlichen und seelischen Kontakt treten. Zuerst sehr zaghaft und oft im Geheimen, mit jedem Generationenwechsel aber immer umfassender half diese bewusste Beziehungserweiterung dem Menschen, mit Tieren, Pflanzen und Mineralien zu kommunizieren und lokal und global zu kooperieren. Der grosse Zusammenhang war wieder hergestellt.

Seit dem Umschwung im Jahr 2100 werden für den Planeten Erde lokale Erhol- und Erneuerungsphasen durchgeführt: Gemeinsam moderieren Mineralien, Pflanzen, Tiere und Menschen neue Eiszeiten.
Im Jahr 9095 fand man unter dem Eis Spuren der Tätigkeit einer Gruppe von Menschen aus der Epoche der verlorenen alten Männer. Gut erhaltene Protokolle berichten von Versammlungen, bei denen es um einen sagenumwobenen religiösen Schatz ging. Vieles in dieser Zeit kann heute nur verstanden werden, wenn man die damalige Dominanz der vorherrschenden Religion in Betracht zieht. So diskutierten die Menschen aus dieser Gruppe laut den Protokollen in vielen Versammlungen über den sagenumwobenen Schatz, hatten darüber hinaus aber kaum etwas miteinander zu tun.
Forscherinnen und Forscher des 11. Jahrtausends beschäftigen sich sehr intensiv mit diesen Protokollen, die man als die «Protokolle von Trüllikon» für bedeutend und für die damalige Epoche bezeichnend und typisch klassifiziert. Beim Gegen-stand der Verhandlungen, diesem streng religiösen Objekt, muss es sich um den Bau eines Tempels für die sogenannte Ewigkeit gehandelt haben. Ein heute unbekannter und in sich leerer Begriff, den man als typische Fehlkonstruktion aus der Zeit der verlorenen alten Männer verstehen muss. Man wusste damals noch nicht, dass der Wandel das einzige Ewige im lebendigen Weltall darstellt und half sich mit solch abergläubischen Konstrukten.
Aus den Protokollen geht hervor, dass sich in den Verhandlungen zwei Fraktionen gegenüberstanden: Eine kleinere Fraktion, welche Macht und Handlungshoheit sofort an das damalige Priestertum übergeben wollte mit dem Auftrag, die Fragen der Ewigkeit zu klären und den Tempelbau rasch voranzutreiben. Die zweite, etwas grössere Fraktion wollte den damaligen «Priestern der Beherrschung der Ewigkeit» nicht einfach glauben und nötigte diese in endlosen Sitzungen sich immer und immer wieder zu erklären. Darüber hinaus waren sie der Überzeugung, dass in die Tiefe gehende Fragen und Gegenfragen für die grösstmögliche Qualität des Bauprozesses nötig seien und in gewisser Hinsicht das reale Bohren und Graben der damaligen Priesterschaft im Untergrund ergänzen müssten. Das ist in seiner Sinnlosigkeit eine aus heutiger Sicht fast schon humoristische Analogie.
Historikerinnen entdeckten aber noch mehr: Mit den neuen Methoden der emotionsgesteuerten Textanalyse stellten sie fest, dass viele Mitglieder der Gruppe sich auffällig oft mit Äusserungen zurückhielten, obwohl sie viel zu sagen gehabt hätten und auch verbal anderen Mitgliedern überlegen waren. Später bemerkten die Forscher, dass in unmittelbarer Nähe von Trüllikon eine sogenannte «Landes- und/oder Kantonsgrenze» verlief. Das waren künstlich bewirtschaftete und im sozialen Leben scheinbar wichtige Grenzen, welche vor allem durch alte Männer fest-gelegt worden waren und die das Zusammenleben der Menschen stark beeinträchtigten. Es ist heute gut belegt und allgemein bekannt, dass Menschen, so sie über eine solche Grenze gingen, mit Akzeptanz kämpfen mussten und darum ihr Verhalten änderten oder anpassten.
Einige Personen fielen auch auf, weil ihre Voten sehr von einer sogenannten «Abgeltungsproblematik» beeinflusst wurden. Was dieses Thema mit der zu besprechenden religiösen Frage zu tun hatte, ist bis heute nicht geklärt. Steuern und Abgeltungen waren scheinbar Geldwerte, welche die damaligen alten Männerregierungen für sich beanspruchten, um eigene Fehler zu tilgen.
Verfahrensleitende Behörden, eine Art Schutzorganisationen, unter deren Obhut sich die Priesterschaft den gesellschaftlichen Fragen zur Implementierung der Ewigkeit zu stellen hatte, behinderten die Prozesse der Gruppe.
Alle Projekte zur «Deponierung der Abfälle in der Ewigkeit» wurden kurze Zeit später aufgegeben. Es ist unklar, was genau dazu geführt hat. Der sagenumwobene religiöse Schatz wurde nie gefunden – oder hat nie existiert.
Die Protokolle von Trüllikon, ein Meilenstein zum Verständnis des 21. Jahrhunderts, sind ein lebendiges Zeugnis eines Höhepunktes des Zeitalters der verlorenen alten Männer. Auch weltgeschichtlich kulminierte das Zeitalter damals in seiner Charakteristik.
In drei damals grossen Weltregionen waren es drei verlorene alte Männer, die sich selbst auf verschiedene Art und Weise «ewig» an der Macht halten wollten:

  • In China einer, der die Gleichheit aller Menschen stipulierte und sich selbst auf Lebenszeit zum Gleichsten unter den Gleichen ausrufen liess.
  • In der Erdregion, die damals Russland hiess, trieb es ein alter Mann auf dem Höhepunkt seiner Macht mit der Brüderlichkeit so weit, dass er aus lauter «Alt-Männer-Liebe» seine unmittelbaren Nachbarn angriff.
  • In Amerika wollte ein alter Mann an der Macht bleiben, in dem er das Ideal der persönlichen Freiheit zu seiner eigenen persönlichen Ewigkeit umdeutete.

Vor diesem erschütternden Hintergrund beleuchten die Protokolle von Trüllikon so-wohl das Ende der Epoche der verlorenen alten Männer wie auch den zaghaften Beginn der Phase der gemeinsam radikal geteilten Lebendigkeit. Sie deuten auf das neu beginnende Zeitalter der Wiederverwertbarkeit und der Kreislaufwirtschaft und damit das Zeitalter des bewussten Einlassens auf den Wandel hin.
Die Mitglieder der beiden Fraktionen blieben zwar sehr beharrlich auf ihren Positio-nen, aber in wenigen lichten Momenten wurde doch eine zarte Gemeinsamkeit der Versammlung hinter den zu besprechenden Fragen spürbar. So können die Proto-kolle von Trüllikon heute mit Recht als ein typisches Zeugnis für den zaghaften Be-ginn einer neuen Zeit, ein zarter Wechsel im Umgang mit dem religiösen Eifer, die Ewigkeit zu organisieren, angesehen werden. Die Protokolle enden abrupt. Warum ist bis heute nicht klar. Die Aufgaben waren ganz und gar nicht erledigt. Es gibt Stimmen, welche behaupten, man hätte sich mit grossen finanziellen Mitteln von den Aufgaben freigekauft. Die kürzlich entdeckten Bücher von Zahlen über die Kosten der Protokolle von Trüllikon lassen diesen Schluss zu, sind doch ähnliche Protokolle zur selben Zeit in anderen Regionen in der Nähe aufgetaucht, welche bedeutend weniger finanzielle Ressourcen verbrauchten…

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